Krisen-PR im Internet: Shitstorms erfolgreich meistern
Sellgate Hamburg Geschäftsführer Wolfgang Hennes im Versandhausberater Nr. 41
Internetnutzer drohen Textilversender Hessnatur mit Boykott, Kunden von Ernsting’s Family echauffieren sich über einen TV-Spot und Planet Sports muss auf Facebook verärgerte Kunden besänftigen. Kein Zufall. Denn immer öfter nutzen Verbraucher soziale Netzwerke und Blogs, um öffentlich gegen Händler zu rebellieren. Solche Shitstorms lassen sich mit Krisen-PR meistern. Wer aber mit dem Anwalt droht, hat oft schon verloren.
Marc Sommer hatte sich seinen Start bei Hessnatur wahrscheinlich auch ein wenig anders vorgestellt. Kaum ist der neue Geschäftsführer beim Öko-Versender im Amt, schon stellen sich die Kunden quer. Auf der Plattform www.wir-sind-die-konsumenten.de wurde kräftig gegen den Schweizer Investor Capvis geschossen, der Hessnatur vor kurzem übernommen hatte (siehe Ausgabe 23/2012). Konkret wurde auf dem Portal behauptet, dass Capvis „in die Rüstungsindustrie verstrickt“ sei.
Die Botschaft der Rebellen: Wer bei Hessnatur kauft, finanziert Waffengeschäfte. Für Hessnatur-Kunden wäre das natürlich ein Unding. Verständlich also, dass der Händler reagieren musste. Vor dem Landgericht Frankfurt wurde daher eine einstweilige Verfügung erwirkt, die den Portalbetreibern verbietet, weiter solche Aussagen zu verbreiten.
Nur wer mit offenen Karten spielt, hat überhaupt eine Chance
„Mit Kritik können wir leben, doch gegen Verleumdungen müssen wir uns wehren“, rechtfertigt Sommer die Vorgehensweise. „Capvis hat mit der Rüstungsindustrie nichts zu tun.“ Doch selbst wenn er in der Sache richtig liegen mag: Der Weg über das Gericht könnte jetzt erst recht dazu führen, dass Kunden abspringen. Denn die Capvis-Gegner schreiben auf ihrer Website nun, dass sie eine einstweilige Verfügung erhalten haben, die sie „ins Gefängnis bringen könnte“.
Die Kritiker erwecken dadurch den Eindruck, das sie ein Unternehmen zu Unrecht mundtot machen möchte. Gegen diesen Eindruck muss der Versender nun auch ankämpfen. Dabei wäre die Situation wohl gar nicht so sehr eskaliert, wenn man besseres Krisen-Management betrieben hätte. „Wenn sich eine Krise abzeichnet, hilft Versendern nur noch Transparenz“, argumentiert stellvertretend Wolfgang Hennes, der mit seiner PR-Agentur Digital-Public-Affairs.de (Sellgate Hamburg GmbH) auf Krisen-Management spezialisiert ist.
Ihm zufolge hat Hessnatur aber genau diese Chance leider versäumt. Hennes hätte Hessnatur empfohlen, ein öffentliches Wiki mit den häufigsten Fragen zu Capvis & Co. einzurichten. Auf einem zentralen Online-Portal kann ein Händler übersichtlich Kritikpunkte auflisten und mit seinen Gegenargumenten zu entkräftigen versuchen. Man kann zudem immer auf so ein Portal verweisen, wenn Kunden auf Facebook & Co. ihre Fragen stellen.
1. Schritt: Konflikt zeitnah aufarbeiten
Hessnatur versucht zwar, verunsicherte Kunden im Web zu beruhigen. Der Spezialversender reagiert aber meist erst, wenn Kunden beispielsweise auf Facebook öffentlich nachhaken. In Antworten der Mitarbeiter ist dann zwar zu lesen, dass Capvis nicht in Waffen investiere. „Wer Kritiker aber wirklich überzeugen will, muss solche Aussagen auch immer konkret mit Beweisen belegen können“, warnt PR-Experte Hennes.
Eine offene Kommunikation hat leider auch Planet Sports nicht richtig hinbekommen. Der Versender hat gerade damit zu kämpfen, dass einige Bestellungen und Retouren nicht bearbeitet wurden. Hintergrund ist, dass der Streetwear-Spezialist sowohl seine Versandhandelssoftware umgestellt als auch seinen Logistik-Dienstleister gewechselt hat. Genau das sollte Planet Sport auch öffentlich auf Facebook & Co. kommunizieren. Dass im Geschäftsbetrieb einmal Fehler passieren, ist schließlich keine Schande. Doch leider vertröstet auch Planet Sports die Kunden auf Facebook oft nur mit allgemein gehaltenen Antworten („Wir überprüfen deine Bestellung“).
Die Folge: Erste Kunden warnen auf Facebook vor einem „unseriösen“ Shop. Unseren Informationen zufolge gab es bei Planet Sports übrigens nur bei einem Bruchteil der Bestellungen die Probleme. Nach außen entsteht jetzt aber der Eindruck, dass bei Planet Sports aktuell einiges im Argen liegt. Selbst wenn nur wenige Kunden auf die Barrikaden gehen, muss man also reagieren. Sonst droht, dass nach Außen ein verzerrtes Bild entsteht. „Wenn sich eine Krise abzeichnet, sollten Versender innerhalb weniger Stunden mit den Gegenmaßnahmen starten“, rät Hennes daher. Man muss aber nicht immer zwangsläufig alle Prozesse transparent in einem Wiki abbilden.
Gerade wenn Vorwürfe im Raum stehen, ist ein persönliches Gespräch oft sinnvoller. Laut Hennes wäre Hessnatur beispielsweise gut beraten gewesen, sich mit den Meinungsmachern aus dem Web an einen runden Tisch zu setzen. Schließlich kann man Kritiker in einem konstruktiven Gespräch davon überzeugen, dass sie einem Händler möglicherweise Unrecht tun.
2. Schritt: Ablenkungsmanöver starten
„Wichtig ist, dass man miteinander redet und nicht übereinander“, argumentiert Hennes. Dabei ist das Ergebnis der Gespräche manchmal sogar zweitrangig. Generell gilt: Wer von seinem Konzept überzeugt ist, muss einen Shitstorm bis zu einem gewissen Grad auch aushalten können. Denn oftmals repräsentieren die Kritiker im Web nur eine Minderheit der eigenen Kunden. Wer daher dem Druck sofort nachgibt, macht auf Außenstehende auch nicht immer eine gute Figur. Der auf Familien spezialisierte Versender Ernsting’s Family wurde vor kurzem dafür angefeindet, dass sein TV-Spot in einem Zirkus gedreht wurde.
Kritiker hatten dem Versender vorgeworfen, dass Tiere in einem Zirkus oft gequält werden (siehe Ausgabe 34/2012). Der Händler hat daraufhin dem Druck nachgegeben und den Spot überarbeiten lassen. „Es hätte vielleicht gereicht, sich zu entschuldigen und für die Zukunft Besserung zu geloben“, überlegt Hennes. Denn um sich selbst wieder aus der Schusslinie zu bringen, müssen Händler oft nur neue Projekte starten.
Hessnatur könnte nun zum Beispiel für soziale Projekte spenden, um gerade jetzt seine faire und nachhaltige Unternehmenskultur zu betonen. Wenn Kunden darauf anspringen und die Botschaft verbreiten, dürfte sich nicht zuletzt auch Marc Sommer darüber freuen.
Weitere Infos: Wolfgang Hennes, Sellgate Hamburg GmbH, hamburg(at)sellgate.de